Die Zeiten, in denen „Drahtesel“ aus Holz waren, sind längst passé. Könnte man meinen. Raphael Much alias Lumber Jack findet das nicht. Mit viel Handarbeit, wenig Maschinentechnik und großer Leidenschaft lässt er in seiner kleinen Schramberger Werkstatt exklusive Fahrräder aus Holz entstehen.

Fotos: Hilarius Riese

Raphael Much ist weit davon entfernt, das Fahrradfahren an den Nagel zu hängen. Auch wenn an der Backsteinwand seiner weiß getünchten Werkstatt in Schramberg ein ungewöhnliches Zweirad baumelt. Nicht wie das Bike, das ein urbaner Hipster effektvoll in seiner Wohnung drapiert hat. „Das ist das erste Fahrrad aus Holz, das ich gebaut hab“, erzählt der bodenständige Schwarzwälder beiläufig. In Handarbeit, damals an der Algarve, nach drei Jahren Tüfteln, Sägen und Hobeln.

Rückblende. Der Schreinergeselle ist 18, als er beschließt, etwas von der Welt zu sehen. Er hat gerade seine Schreinerlehre bei einem Ladenbauer beendet. Der arbeitet aber „eher industriell“. Immer nur Spanplatten verschrauben, das ist so ganz und gar nicht die Idee, die der Schramberger vom Beruf des Schreiners hat. Darum geht er auf seine ganz persönliche Walz. Nach einer ersten Zwischenstation in Portugal strandet er in Neuseeland und verdingt sich dort in einem Sägewerk. Immerhin, er arbeitet mit Holz, aber die Erfüllung ist das für ihn nicht.

„Wenn ein Alu- oder Stahlrahmen auf einen Stein fällt und das Rohr eindellt, dann verliert der Rahmen an dieser Stelle sehr an Stärke und ist meistens nicht reparabel. Holzrahmen sind zwar auch hohl, aber sie verlieren durch Dellen nicht ihre Stabilität. Und: man kann sie leicht reparieren.“

Foto: Hilarius Riese

Portugal lässt ihn nicht los, und so heuert er nach der Rückkehr an die Algarve bei einem traditionellen Bootsbauer an. Später wird er berichten, dass er den Schreinerberuf erst dort richtig nach allen Regeln der Handwerkskunst gelernt hat. Denn der Meister dort hat keine großen Maschinen, ganz zu schweigen von CNC-Maschinen, wie sie anderswo üblich sind. Auf Booten sind geschwungene Möbel gefragt, und die werden hier von Hand gefertigt. Es ist wie bei den hölzernen Fahrradrahmen, die Much heute herstellt – auch da gibt es keine rechten Winkel.

Der erste Rahmen entstand aus Holzresten. Die Idee hat sein Bruder. Während der Staatskrise in Portugal kommt der Bootsbau ins Trudeln. Könnte man nicht einen Fahrradrahmen aus Holz bauen? Raphael ist von der Vorstellung fasziniert. Er schnappt sich Holzreste aus der Werft, kauft – wegen der nötigen Metallteile – für 15 Euro ein altes Fahrrad, tüftelt mit verleimten Brettschichten, sägt, hobelt, verbessert, testet, bis er nach drei Jahren endlich halbwegs zufrieden mit dem Ergebnis ist. Die Proportionen des Rahmens sind zwar noch nicht perfekt, aber die Linienführung stimmt, und die Materialanmutung begeistert ihn. Auch seine Frau, die er an der Algarve kennen gelernt hat. Much weiß jetzt: Er will Holzfahrräder bauen und verkaufen.

Nun hängt Muchs Erstling an der weißgetünchten Werkstattwand in der ehemaligen Schramberger Majolikafabrik – wenn er nicht gerade damit unterwegs ist. Öfter besteigt er aber sein zweites selbst gefertigtes Rad. Mit seinem dreifachen Oberrahmen ist es nicht den sanften Stränden und Hügeln der Algarve angepasst, sondern den steinigen und engen Wanderwegen des Schwarzwalds. „Ich nehme das richtig hart ran“, erzählt der 28-Jährige – von Materialermüdung keine Spur. Eine solche Haltbarkeit würde man wohl eher einem Fahrradrahmen aus Stahl, Aluminium, Carbon oder Titan zutrauen als einem Rahmen aus geschichtetem Holz.

Weit gefehlt. „Holz ist viel stoß- und vibrationsabsorbierender als Carbon“, erklärt Much. Darum seien auch die Stiele von Äxten und Hämmern immer noch aus Holz – sie geben Vibrationen nicht ans Handgelenk weiter. „Holz ist von Natur aus biegungs- und verformungsfester als Stahl – es muss ja als Baum auch jeden Tag mit Wind und Wetter fertig werden.“ Wenn man einen Baum fällt, bleiben all diese guten Eigenschaften erhalten. Wird gut getrocknetes Holz mit Epoxydharz laminiert, ist es auf Dauer verformungs- und bruchfest und hat ein sehr gutes Verhältnis von Gewicht und Tragfähigkeit.

Fotos: Hilarius Riese

Der Maschinenpark ist sehr überschaubar. Seit 2013 ist Much selbstständig mit seiner Marke „Lumber Jack Bicycles“, stilvoll inszeniert von seiner Frau, die Grafikerin ist. Einem Holzfäller sieht Much so gar nicht ähnlich. Aber seine Vorliebe für entsprechende Hemden und natürlich der Bezug zum Holz ließen den Markennamen entstehen. Einige Fahrräder hat er inzwischen für seine Kunden gefertigt.

Während draußen vor dem offenen Werkstatttor die Schiltach rauscht, zeigt Raphael Much seine Werkstatt. Arbeitstisch, Werkbank, ein überschaubarer Maschinenpark: eine alte Schleifmaschine, eine Unterflur-Zugsäge von Mafell – die Erika – und eine schon ebenso wohlvertraute Stichsäge. Der unprätentiöse Schwarzwälder beschränkt sich auf das Notwendigste. Aber wie baut man damit ein Fahrrad aus Holz?

Erst mal braucht man das richtige Holz. „Da ist die Auswahl im Schwarzwald halt viel größer als in Portugal“, erklärt er. Langfaserige Esche ist wegen seiner Zellstruktur seine erste Wahl, auch Hickory ist gut geeignet. Beide machen den Rahmen besonders belastbar. Mit zusätzlichen Edelhölzern wie Nuss- oder Kirschbaum, die in den Rahmenkern eingebracht werden, kann jeder Kunde seinem Fahrrad dann eine persönliche Note geben. Das ergibt schöne Kontraste.

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Video: Michael Kotowski. Bilder: Hilarius Riese

Much bietet außer echten Custom-made-Rahmen drei Standard-Modelle an: einen Semi-Cruiser, einen Lady-Cruiser und einen „LJ Double“. Letzterer ist mit seinem Doppel-Oberrahmen besonders anspruchsvoll in der Herstellung. An einem solchen arbeitet er gerade. Für das Oberrohr laminiert er 16 Holzschichten, jede nur zwei Millimeter dünn, für das Unterrohr 18 davon: „Das ist höheren Belastungen ausgesetzt, und es muss nachher das Gehäuse für die Pedalkurbel tragen.“ Mit der Walze trägt er Schicht für Schicht Epoxidharz auf und legt Glasfasermatten auf. Als alles verleimt ist, zwingt er es in die Formpresse, die der Kontur des späteren Rahmens entspricht. 36 Stunden verbringt das geschichtete Holz dort.

Eine Woche Arbeit für jeden Rahmen. Bis hierhin sind nur mechanische Werkzeuge zum Einsatz gekommen – wenn überhaupt. Jetzt nimmt Much zum ersten Mal ein Elektrowerkzeug in die Hand: eine Stichsäge, die P1 cc von Mafell, bekannt für ihre hohe Präzision. Konzentriert sägt er die Rahmenform aus, die er vorher mit einer Schablone aufgezeichnet hat. Dann ist wieder Handarbeit pur angesagt: Mit dem Hobel und einem feinen Stemmeisen arbeitet Much den Rahmen nach. Jetzt geht es an die Feinarbeit, das Schleifen. Vorschliff, Zwischenschliff, Schlussschliff – für alle drei verwendet er seinen Mafell Exzenterschleifer mit weichem Teller. Prüfend streicht er mit der Hand über den glatten Rahmen. Fast fertig.

„Auf Holzrahmen rollt man wesentlich sanfter dahin als auf herkömmlichen Rädern.“

Foto: Hilarius Riese

Raphael Much hat das Rad nicht neu erfunden. Schließlich bestand schon das erste Laufrad, die „Draisine“, vor allem aus Holz. Genauso wie früher die Skier, Bogen und Baseballschläger – Utensilien, die richtig was wegstecken. Allerdings: „Früher waren Holzfahrräder sehr witterungsanfällig, weil man die Oberflächen nicht so behandeln konnte wie heute. Im Grunde kann man die Vorteile von Holz erst jetzt mit den modernen Lacken und Klebern richtig nutzen.“

Much spricht’s und taucht den Pinsel in den Zwei-Komponenten-Lack. Klarlack, versteht sich – einen farbigen Anstrich auf dem edlen Holzrahmen, das kann niemand wirklich wollen. Ein UV-Lack versiegelt das Holz, betont die Holzmaserung und schützt vor Verwitterung. Eine Woche arbeitet er an den Rahmen. Ab 2550 Euro sind sie zu haben, je nach Holz und Design. Felgen, Bremsen, Lenker, Schaltung und Vordergabel kann jeder Kunde individuell auswählen, bevor ein erfahrener Fahrradmechaniker sie montiert.

Der Zeitgeist feiert Handgemachtes, das weiß auch Much: „Meine Kunden wollen wieder ein wertvolles, persönliches Produkt bekommen.“ Seine Kunden, das sind meist Fahrrad-Enthusiasten mit Sinn für das Besondere, durchaus nicht nur Besserverdiener. Solche, die schon ein Rennrad und ein Mountainbike in der Garage stehen haben – oder in der Wohnung. Denn Muchs Räder sind auf ihre Art Hightech, auch ohne Carbon: Nur zweieinhalb bis dreieinhalb Kilo wiegt ein Holzrahmen. Weil er innen hohl ist. Wie Much das hinbekommt, verrät er nicht: „Betriebsgeheimnis“, lächelt er vielsagend, steigt auf sein zweites Werk, das mit dem dreifachen Oberrahmen, und gleitet davon. Der Wald ruft.