Gestern Kiel, heute Sylt: Jannek Grocholl und Gerrit Hendricks verhelfen Kitesurfern in ihren Workshops zu maßgeschneiderten Boards.

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Eins haben Jannek Grocholl und Gerrit Hendricks mit vielen anderen in der Szene gemeinsam: Sie sind Individualisten. Normalerweise trifft man sie in einer kleinen Schreinerei in Kiel. Dort tüfteln sie in Workshops an neuen Kiteboards für andere Individualisten. Heute aber treffen wir sie am Strand von Sylt.

Für ein paar Wochen haben sie ihre Werkstatt und ihre Workshops ins deutsche Eldorado des Wassersports verlegt. „Wenn man gleich nach Feierabend oder in der Pause aufs Wasser gehen kann, dann ist das natürlich nicht ganz uneigennützig“, schmunzelt Gerrit. Und Jannek fügt hinzu: „Es verkürzt natürlich auch die Entwicklungszeiten.“ Die Boards an wechselnden Orten direkt am Wasser zu bauen und dabei Workshop, Handwerk und Sport miteinander zu verbinden, das können sie sich auch für die Zukunft gut vorstellen.

Foto: Michael Haller

Welches Board für wen? Die Leidenschaft fürs Kitesurfen und fürs „Machen“ steht den beiden ins Gesicht geschrieben. Genau durch diese Kombi haben sie sich vor ein paar Jahren kennengelernt. Unter einem Dach aus Holz, Metall und Kunststoffwellplatten haben sie jetzt auf Sylt fünf Arbeitsplätze aufgebaut: Böcke mit Holzplatten, stabilisiert mit Aluprofilen, damit die Fläche absolut eben ist. Ohne Präzision geht gar nichts. Sechs Workshopteilnehmer sägen, schleifen, kleben, bohren, schrauben an ihren neuen Kiteboards, geduldig angeleitet von Jannek und Gerrit. Das Material dafür, letztlich also das komplette Board, ist im Teilnahmepreis von 650 Euro mit drin. Zwei Tage dauert der Workshop, handwerkliche Kenntnisse muss hier keiner mitbringen.

Die Idee, Workshops anzubieten, hat einige Zeit zum Reifen gebraucht. Dann haben Jannek und Gerrit sich Geld, Mut und Zeit genommen, um das Projekt mit dem Namen Board-Lab zum Laufen zu bringen. „Uns ist wichtig, dass die Fahreigenschaften des Boards nachher exakt zum Besitzer passen“, sagt Jannek. „Und dass er es genau nach seinem Geschmack gestalten kann.“ So wird zum Beispiel die Größe des Kiteboards – die Breite in der Mitte und an den Tips sowie die Länge – dem Gewicht, der Körpergröße und dem Fahrstil angepasst. Aber auch das spätere Surfrevier bestimmt das Design des Boards mit.

„Ein Holzkern aus Palisander und ein biaxiales Glasfasergelege sind die ideale Kombi.“
Jannek Grocholl

Foto: Michael Haller

Was macht ein Kiteboard aus? Klar, auf Kiteboards, also Surfbrettern zum Kitesurfen, lässt man sich von einem Lenkdrachen über das Wasser ziehen. Aber was unterscheidet ein Kiteboard von einem normalen Surfbrett? Klassischerweise haben Kiteboards Schlaufen für Füße oder Schuhe und lassen sich in zwei Richtungen fahren. Das sind dann Twintips oder Bidirectio­nals. Inzwischen gibt es auch Mischungen aus Kiteboard und Wellenreitbrett, die Waveboards oder Directionals. Sie sind größer, haben in der Regel keine Schlaufen und sind die erste Wahl, wenn man in der Welle fahren will. Dafür ist man auf ihnen aber nur in einer Richtung unterwegs.

Foto: Michael Haller

Tips, Rocker, Konkave und Flex müssen stimmen. „Alle reden immer über die Länge des Boards, dabei haben zum Beispiel die Breite in der Mitte und das Verhältnis von Tipbreite zur Breite der Mitte mindestens den gleichen Einfluss auf das Fahrverhalten“, erläutert Gerrit. Als Wirtschaftsingenieur hat er sieben Jahre lang technische Trainings organisiert und durchgeführt. Aber er steht natürlich auch seit vielen Jahren auf dem Brett und weiß deshalb, wie wichtig das optimal passende Board fürs Kiten ist. Generell gebe es fünf „Stellschrauben“ für die Fahr­eigenschaften eines Boards, erläutert Gerrit und wirft mal eben ein paar Begriffe aus dem Kiter-Slang in die Runde: die Outline, die Tipform (Ausprägung der Ecken), der Rocker (Aufbiegung), die Konkave (Höhlung an der Unterseite) und der Flex (Steifigkeit). Die Länge der Finnen wiederum beeinflusst Spurtreue und Kurvenfahrverhalten.

Foto: Michael Haller

Anfängern raten die beiden normalerweise zu einem Allroundboard, das für die meisten Situationen geeignet ist. Von großen Ausführungen für Einsteiger halten sie überhaupt nichts. „Klar, man kann auf denen besser angleiten, dafür ist es aber viel schwerer zu händeln und zu lenken“, weiß Jannek. Leichte Boards wiederum haben Vorteile, aber nur wenn das geringe Gewicht nicht zulasten der Stabilität geht. Frauen ist aufgrund ihrer Statur oder ihres Fahrstils ein weicheres Board meistens lieber.

Der zweitägige Workshop hat einen klaren Aufbau. Am ersten Tag wird die individuelle Lackierung ausgewählt. Jannek und Gerrit richten die persönlichen Boardformen der Teilnehmer ein, definieren gemeinsam mit ihnen Rocker und andere Parameter und bereiten mit ihnen das individuelle Design vor. Dann wird das Board gepresst und über Nacht gebacken. „Wir verwenden einen sehr leichten Holzkern aus Palisander, ein biaxiales Glasfasergelege und ein besonderes Epoxidharz, damit erreichen wir einen idealen Kompromiss“, beschreibt Jannek die innovative Board-Lab-Materialphilosophie. Der gelernte Bootsbauer fertigt schon seit sieben Jahren professionell Kiteboards und studiert zur Zeit Holz- und Kunststofftechnik.

Foto: Michael Haller

Boards mit persönlichem Fingerabdruck. Wenn am zweiten Workshop-Tag alle ihre rohen Boards aus dem Vakuum holen, erzählt er, gibt es jedes Mal strahlende Gesichter. Nachdem die Teilnehmer ihre Boards mit der Stichsäge grob ausgeschnitten haben, geht es ans Fräsen der präzisen Kontur. Mit dem Exzenterschleifer erhalten die Oberflächen im wörtlichen Sinn den Feinschliff. Die Boards bekommen Inserts für Fußschlaufen und Löcher für die Finnen, der Rand eine Verstärkung aus ABS. Krönender Abschluss ist die Lackierung. Jetzt muss der UV-beständige Lack nur noch trocknen und aushärten. Am nächsten Tag stehen die neuen Boards dann zum Abholen bereit oder werden auf Wunsch nach Hause geliefert.

Foto: Michael Haller

Technisch betrachtet stehen die Surfbretter von Board-Lab den industriell gefertigten in nichts nach. Und der fast grenzenlose Individualisierungsgrad ist im handgefertigten Prozess ohnehin unschlagbar. Das findet offenbar auch WM-Kitesurferin Leonie Meyer, die prominenteste Sportlerin, die den Jungs von Board-Lab vertraut.

Und noch etwas ist den beiden ganz wichtig. Kaum eins ihrer Boards verlässt die Werkstatt einfach so mit dem normalen Board-Lab-Logo. Wenn ein Teilnehmer es möchte, scannen Jannek und Gerrit seinen oder ihren Fingerabdruck und fügen ihn auf dem Board ins Logo ein. Oder sie drucken ihn per Plotter auf eine Folie und füllen die Form des Surfbretts damit aus. Auch Holzfurniere kommen als dekorative Elemente zum Einsatz. „Wie das Board, so das Logo: ein echtes Unikat“, meint Jannek, schnappt sich sein Lieblingsboard und verschwindet Richtung Strand.
Die Wellen bitten zum Tanz.